Top-Test Triumph Daytona 955i: Schattenspiele (2024)

Die Sache war im Grund von Beginn an klar, anno 2001, als bei Triumphs Aushängeschild der Modellwechsel anstand. Daytona sollte Daytona bleiben. Und ihr Einsatzgebiet der sportliche Landstraßenritt sein. So jedenfalls verlautbarten die Triumphler, als sie die erstarkte und abgespeckte 955i der Öffentlichkeit präsentierten. Wohl ahnend, dass es für üppigen Siegeslorbeeren auf den Rundkursen dieser Welt wieder nicht reichen würde. Dann doch lieber den Ball flach halten.
An diesem so typischen wie britischen Understatement hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil. Die Daytona ist im Modelljahr 2003 wieder mehr Daytona geworden, weil selbst die kontinentalen Anhänger mit inseliger Sturheit vor allem jenes Bauteil zurückforderten, was neben dem Dreizylinder die Daytona erst zur Daytona machte: die Einarmschwinge. Die war im Zuge der Gewichtsoptimierung zwei Jahre zuvor einer leichteren, zweiarmigen Variante gewichen.
Dass der weltweiten Fangemeinde die läppischen drei Kilogramm Mehrgewicht so egal waren wie den Briten die Ein-
führung des Euros, zeigt anschaulich, wes Geistes Kind die triumphalen Sportanhänger sind. Competition ja – aber bitte mit Stil. Und wenn es geht, mit einem ganz eigenen.
Gerade der jedoch scheint der Day-
tona – mit bürgerlichem Namen 955i –
zumindest auf den ersten Blick im Zuge
des Modellwechsels abhanden gekommen. Nicht nur, dass dort, wo der zweite Schwingenarm das Hinterrad führte, nun wegen der unveränderten Auspuffführung zwischen Sammler und fetter Sechs-Zoll-Felge ein ebensolches Loch klafft. Auch das, was Bug und Heck zu bieten haben, lässt die ursprüngliche Eigenständigkeit vermissen, was aber – dem Triple sei Dank – zur Marginalie verkommt, wenn im Maschinenraum die Arbeit aufgenommen wird.
Made in Britain, made in Hinckley, made by Triumph: Die Botschaft ist so klar, als würde das Zylindertrio »God save the Queen and John Bloor« pfeifen. Noch englischer geht nicht, noch typischer auch nicht. Und es ist in der Tat dieser kehlige Bass, der den Klang des Drillings derart einmalig macht. Da wird das Werkeln des Triebwerks zur Lautmalerei, die nichts mit dem zu tun hat, was japanische Reihenvierer im Standgas an Synthetik von sich geben. Keine Frage, dieser Motor ist schon wach, wenn andere noch schlafen.
Und sofort voll und ganz bei der
Sache. Jedenfalls, was die Gasannahme angeht. Einen Chokehebel gibt es im Zeit-
alter der Benzineinspritzung nicht mehr, das Röhren in der Airbox gibt den Takt vor für eine Symphonie in Dur und Moll, die der Dirigent am Gasgriff bei jedem Ampelstopp lustvoll und erwartungsfroh aufs Neue intoniert.
Dann aber holpert es deutlich in der Partitur. Zumindest für alle, die angesichts von 956 Kubikzentimetern einen Paukenschlag statt leiser Töne erwarten. Gas anlegen, einkuppeln – und es geht vorwärts. Mehr nicht. Keine Spur von
diesem knurrenden, überfallartigen Antritt, den noch die Vorgängerin auszeichnete. Kreuzbrav schiebt die Daytona an, entwickelt erst jenseits der 4000/min Temperament, neigt aber bis zum Drehzahllimit von 11500/min niemals zu Ausbrüchen, wie sie eine Yamaha YZF-R1 im Drehzahlkeller oder eine Suzuki GSX-R 1000 am oberen Ende der Drehzahlleiter befallen. Das wirkt – mit Verlaub gesagt – etwas blutarm.
Wer allerdings in der Lage ist, neben Verkehr, Straßenverlauf und Drehzahlmesser den digitalen Tacho im Auge zu behalten, dem erschließt sich trotz allen britischen Leistungsentwicklung-Understatements jene Supersport-Region, in welcher der Triple angesiedelt ist. 80, 120, 160 km/h – es geht ratz, fatz, und
die Engländerin schießt mit deutlich Überschuss aufs nächste Eck zu. Dazu reichen die gemessenen 139 PS allemal, auch wenn die Leistungsausbeute deutlich unterhalb der optimistischen Werksangabe (147 PS) liegt und die Daytona bei den Fahrleistungsmessungen nicht die Werte von GSX-R und Co. erreicht.
Wer nun glaubt, mit der Triumph zwangsläufig den Anschluss an die Sportskameraden zu verlieren, urteilt zu schnell. Oder ist zu langsam, wie man es nimmt. Auf jeden Fall gilt es, die Fehler bei sich selbst statt beim Untersatz zu
suchen, denn Leistungsüberfluss ist bei dieser Kategorie von Motorrädern immer vorhanden. Der Umgang mit der Britin hat so gesehen gegenüber der Konkurrrenz sogar einen angenehmen Effekt: Beim flotten Ritt durch Wald und Wiesen
bewegt sich der eilige Reiter ab und an in Drehzahlregionen jenseits der 6000/min, wo es dann mit Nachdruck vorwärts geht und genießt den Sound aus der Airbox bis zum fälligen Gangwechsel.
Der gestaltet sich auf der Triumph je nach »Modus« sehr unterschiedlich. Einer der betont sportlich unterwegs ist, die nächsthöhere Fahrstufe hektisch und ohne Kupplungseinsatz anwählt, erntet im schlimmsten Fall schnarrende Verweigerung. Betont gelassene und vorschriftsmäßig vorgenommene Gangwechsel hingegen belohnt das Getriebe mit großer Kooperationsbereitschaft, kurzen Schaltwegen und auf Anhieb sitzenden Gängen.
Kooperation ist zudem das Stichwort, wenn es um die Unterbringung großgewachsener Fahrer geht. Die fühlen sich über dem für aktuelle Supersport-Verhältnisse langen Tank hinter dem breiten Lenker sehr kommod aufgehoben und bekommen ihre Haxen trotz der sportlich hoch angebrachten Fußrasten bequem sortiert, während sich kleinere Menschen eine versammeltere Sitzposition wünschen. Allen gemeinsam: Über die fulminanten Bremsen gibt es keine Klagen. Stark in der
Wirkung, mit beinahe schon zu hartem Druckpunkt – in dieser Beziehung kann die Britin unverändert mithalten.
Hinsichtlich der Pfunde, die sie mit sich herumschleppt, haben sich die Zeiten hingegen geändert. 220 Kilogramm vollgetankt: Dieser Wert ist im Reigen der Sportler-Prominenz nicht mehr up to date. Eine Tatsache, die sich besonders dort dokumentiert, wo jede kleine Schwäche aufgedeckt wird. Im Top-Test-Parcours erreicht die Daytona speziell im schnellen Slalom mit 21,1 Sekunden und einer Höchstgeschwindigkeit von 95,6 km/h keine Spitzenwerte in dieser Klasse, obgleich für das Fahrwerk bis auf eine etwas zu
lasche Druckstufendämpfung der Gabel grundsätzlich das Gleiche gilt wie für den Motor: keine überragenden Talente, jedoch auch keine eklatanten Schwächen. Die Daytona läuft bis auf ein zartes Pendeln im Topspeedbereich sauber geradeaus, doch eine GSX-R 1000 kann das besser. Sie fährt im Kurvengeschlängel zielgenau die vorgegebene Linie, aber auch dort sind Suzuki und Konsorten noch etwas exakter. Sie lässt sich locker von einem Eck ins andere werfen, aber eine Fireblade ist noch agiler.
So ist es eben in der Sportwelt: Ganz oben, wo die Luft dünn wird, zählen
Kleinigkeiten. Wer dort im Blitzgewitter stehen will, darf sich keine Schwäche leisten. Im Alltag hingegen, wo es statt künstlicher Aufheller auch mal eine schattige Allee sein darf, ist die Daytona nach wie vor zu Hause. Aber das haben die von Triumph ja schon anno 2001 gesagt.

Was sonst noch auffiel - Triumph Daytona 955i

Was sonst noch auffiel PlusKettenspannen dank Einarmschwinge leicht gemachtEinfache Luftdruckkontrolle über außermittige (hinten) oder gekröpfte Ventile (vorn)Für Sportlerverhältnisse gute Sicht in den RückspiegelnAkzeptabler Windschutz MinusHinterradbremse sehr defensiv ausgelegtBeim Volltanken starke Erwärmung des Benzins und zwangsläufiges ÜberlaufenFehlende Innenverkleidung im Verklei-dungsbugUmständliche Ölkontrolle mittels Peilstab FahrwerkseinstellungenGabel: Zugstufe 1,5 Umdrehungen offen,Druckstufe 0,5 Umdrehungen offen,Federbasis 2 Ringe sichtbarFederbein: Zugstufe 2 Umdrehungen offen,Druckstufe 1,5 Umdrehungen offen,Federbasis 7 Gewindegänge sichtbar

So testet MOTORRAD - Beschleunigung

MOTORRAD erklärt die einzelnen
Kriterien der 1000-Punkte-Wertung (Teil 20).

Leistung ist sicher bei jedem Motorrad eines der entscheidenden Kaufkriterien. Die Prüfstandsleistung allein sagt jedoch noch längst nicht alles über die Dynamik der Maschine aus. Daher misst MOTORRAD nicht einfach nur auf dem Prüfstand, sondern bewertet vielmehr die realen Fahr-leistungen. Bei der Beschleunigung zählt neben reiner Spitzenleistung zum Beispiel der Drehmomentverlauf, außerdem wirkt sich natürlich das Gewicht der Maschine samt Fahrer und die Schwerpunktlage aus. Zeit und Geschwindigkeit erfasst ein multifunktionales Tellert-Messgerät. Wichtig für gleich-mäßige, reproduzierbare Messwerte ist routiniertes Personal, das den dosierten Umgang mit dem Gasgriff beim Kampf zwischen Schlupf und steigendem Vorderrad beherrscht. Ein Balanceakt, den nur absolute Profis meistern. Bewertet werden die Beschleunigungswerte bis 100, 140 und 200 km/h. Bestnoten gibt es für Zeiten unter 2,6 Sekunden auf 100 km/h, unter 3,9 Sekunden auf 140 km/h und unter 6,9 Sekunden auf 200 km/h. Strenge Maßstäbe, Chef beim Spurt sind bisher Suzuki Hayabusa und GSX-R 1000 sowie Kawasaki ZX-12R mit je 27 Punkten. Die Triumph Daytona schafft mit recht ordentlichen, aber im Feld der Supersportler nicht überragenden Werten insgesamt 24 Punkte.

Technische Daten - Triumph Daytona 955i

Motor: wassergekühlter Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine Ausgleichswelle, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, elektro-nische Saugrohreinspritzung, Ø 46 mm, Motormanagement, geregelter Katalysator mit Sekundärluftsystem, E-Starter, Drehstromlichtmaschine 480 W, Batterie 12 V/12 Ah.Bohrung x Hub 79,0 x 65,0 mmHubraum 956 cm3Verdichtungsverhältnis 12,0:1Nennleistung 108 kW (147 PS) bei 10600/minMax. Drehmoment 100 Nm (10,2 kpm) bei 8400/minSchadstoffwerte (hom*ologation) CO 4,43 g/km, HC 0,53 g/km, NOx 0,08 g/kmKraftübertragung: Primärantrieb über Zahnräder, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, X-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 42:18.Fahrwerk: Brückenrahmen aus Alurohren, Motor mittragend, Telegabel, Standrohrdurchmesser 45 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Einarmschwinge aus Aluguss, Zentralfeder-bein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, schwimmend gelagerte Bremsscheiben, Ø 320 mm, Vierkolbensättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Einkolbensattel.Alugussräder 3.50 x 17; 6.00 x 17Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17Bereifung im Test Bridgestone BT 010 J/RFahrwerksdaten: Radstand 1440 mm, Lenkkopfwinkel 67,2 Grad, Nachlauf 81 mm, Federweg v/h 120/130 mm.Service-DatenService-Intervalle alle 10000 kmÖl- und Filterwechsel alle 10000 km/4,0 lMotoröl SAE 10 W 40Telegabelöl Showa SS 8Zündkerzen NGK CR-9 EKKette 5/8 x 3/8, 106 RollenLeerlaufdrehzahl 1000±50/minVentilspielEin-/Auslass 0,10–0,20/0,20–0,30 mmReifenluftdruck solo (mit Sozius)vorn/hinten 2,5/2,5 (2,5/2,9) barGarantie zwei Jahre ohne KilometerbegrenzungFarben Schwarz, Rot, GelbLeistungsvariante 72 kW (98 PS)Preis 11750 EuroNebenkosten 240 Euro

MOTORRAD-Messungen - Triumph Daytona 955i

Fahrleistungen1Höchstgeschwindigkeit* 260 km/hBeschleunigung 0–100 km/h 3,1 sek0–140 km/h 4,9 sek0–200 km/h 9,5 sekDurchzug 60–100 km/h 4,9 sek100–140 km/h 4,6 sek140–180 km/h 5,3 sekTachometerabweichung Anzeige/effektiv 50/48, 100/94 km/hKraftstoffart SuperVerbrauch im Testbei 100 km/h 4,9 l/100 kmbei 130 km/h 5,3 l/100 kmLandstraße 5,7 l/100 kmTheor. Reichweite 368 kmMaße und GewichteL/B/H 2110/840/1140 mmSitzhöhe 840 mmWendekreis 6270 mmGewicht vollgetankt 220 kgZulässiges Gesamtgewicht* 400 kgZuladung 180 kgRadlastverteilung v/h 50/50%Tankinhalt/Reserve* 21/3 LiterMOTORRAD-Messwerte2Bremsen und FahrdynamikBremsmessungBremsweg aus 100 km/h 39,7 MeterMittlere Verzögerung 9,7 m/s2Bemerkungen: Die vorderen Stopper packen sehr spontan zu. Schwierige Dosierbarkeit durch harten Druckpunkt. Wenig Federungsreserven der Gabel beim starken Bremsen.Handling-Parcours I (schneller Slalom)Beste Rundenzeit 21,1 sekvmax am Messpunkt 95,6 km/hBemerkungen: Die vmax am Messpunkt ist nicht besonders hoch für einen Sportler. Zum einen braucht man hohe Lenkkräfte, um die Triumph von einer Schräglage in die andere zu wuchten. Außerdem könnte die Gabel ein wenig straffer sein. Etwas schwergängiges Getriebe in den unteren Gangstufen.Handling-Parcours II (langsamer Slalom)Beste Rundenzeit 29,3 sekvmax am Messpunkt 52,2 km/hBemerkungen: Genügend Schräglagenfreiheit bietet die 955i allemal. Deutlich spürbares Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage. Nahezu lastwechselfrei fährt die 955i um den Umkehrpunkt, beim Herausbeschleunigen aus niedrigen Drehzahlen fehlt ihr etwas Durchzugsvermögen.

Fazit - Triumph Daytona 955i

Bei der Zeitenjagd reicht es nicht ganz, um in der ersten Liga der Supersportler mitzuspielen. Dennoch gilt: für eine sportliche Tour auf der Landstraße oder das eine oder andere Renntraining ist die Daytona voll und ganz gerüstet. Und sie hat etwas, was andere nicht haben. Diesen unnachahmlichen Dreizylinder, der jede Ausfahrt zu einem Erlebnis macht.

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Author: Mrs. Angelic Larkin

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